Kritische Situation, was hätte man tun können….

Ein Rückblick auf die Herausforderungen Schottlands

Nun ist es mehr als fünf Monate her, dass ich meinen Schottland Törn beendet habe. Doch er hängt mir immer noch nach. Das hatte ich so noch nie und so war ich gezwungen, doch mal in mich zu gehen um zu sehen, was da so in mir gärt. Daher gibt es jetzt diesem Beitrag. Zuvorderst muss ich meiner Frau Insa danken, die mich mehr als 40 Jahre kennt und sich geduldig alles anhört, was ich zu berichten habe und auch kompetent ist. Auch mein Bruder und ein paar Freunde, zuvorderst Manfred, hörten mir zu wiesen mir den Weg. Worum soll es hier gehen? Mir ist es wichtig, vor einem Törn alle Eventualitäten, soweit als möglich, vorherzusehen und einzuplanen. Bei der Tour Enkhuizen-Hindeloopen habe ich das in 5 sek. erledigt, auch wenn ich dabei das „gefährliche“ IJsselmeer mit seiner steilen Welle überqueren muss. Bei Helgoland-Hvide Sande, Tananger-Lerwick usw. sieht das schon ganz anders aus. Nun wissen wir alle, dass man eben keinesfalls alle Eventualitäten vorhersehen kann. Die grundsätzliche Vorbereitung besteht für mich immer darin, mit einem seeklaren Boot zu starten. Also alle Ressourcen wie Trinkwasser, Diesel, Lebensmittel sind aufgefüllt, das Boot und insbesondere seine Achillesferse die Elektronik, funktioniert, das Wetter ist geklärt. Trotzdem tauchen sie dann auf, die Unwägbarkeiten, die beinahe Katastrophen. Hinterher gilt es, aufzuarbeiten, was warum schief gegangen ist und wie man das vermeidet. Das ist der Sinn dieses Beitrags.

Wer lange Strecken fährt, wird früher oder später mit Erlebnissen der „dritten“ Art konfrontiert. Damit meine ich alles, was unvorhersehbar erschien. Mein erstes Erlebnis dieser Art im vergangenen Jahr ist eher simpler Natur, nämlich der Seenebel vor der Westküste Dänemarks. Nach dem Start in Helgoland ist mein Ziel, so schnell wie möglich nach Norden zu kommen, mindestens bis Tyborøn, besser noch gleich bis Mandal in Norwegen. Allein das Wetter spielt nicht mit. Der Wind schwächelt bei jeder Meile ein wenig mehr und nach einem Tag segeln bin ich kaum an Esbjerg vorbei. Die Nacht entlang der Windparks dort oben ist aufgrund viele Fischer unentspannt und der Morgen wirft mir dann einen Sack Seenebel vor das Boot. Irgendwann ist es für mich eine Frage der Sicht und damit der Sicherheit, einen Hafen anzulaufen, in meinem Fall Hvide Sande. Was war hier falsch gelaufen? Im Grunde nichts, die Wettervorhersage entsprach einfach in Teilen nicht der Realität. Was hat funktioniert? Mein Plotter, der mich bei 100 m Sicht direkt vor die Einfahrt in Hvide Sande gebracht hat, die ich sonst nie gefunden hätte.

Der nächste GAU war schon ernster. Die Überfahrt von Tananger nach Lerwick mit ca. 48 Std. Dauer startet bei unsicherem Wetter. Im Weg liegen diverse Bauwerke der Öl- undGasindustrie. Gegen 0200 Uhr nähere ich mich mal wieder so einem Bauwerk, um das drei Arbeitsschiffe gruppiert sind, alle mit AIS, also auf dem Plotter gut sichtbar. Mit einem Abstand von ca. 1 nm will ich vorbeifahren, da setzt sich eines der Schiffe in Bewegung. Kurs direkt auf mich zu, der unter Segeln fährt. 1 nm sind nicht viel und nach dem dritten vergeblichen Funkanruf habe ich noch immer keine Idee, wie ich da ausweichen soll. Plötzlich die erlösende Funkmitteilung „Passing Port“ und der Kahn dreht unmittelbar vor mir nach rechts. Er meinte seine eigene Backbordseite, ok, das ist mir dann auch egal. Die deutlich erkennbaren Schweißnähte auf seinem Rumpf werde ich den Rest meines Lebens in Erinnerung behalten. Was ist schief gelaufen? Nun, zunächst war der Skipper an Bord des Arbeitsbootes um diese Zeit wohl einfach müde, rechnete keinesfalls mit einem Segelboot, dessen Toplicht (Dreifarben) und AIS-Signal er wohl übersehen hat und war generell unaufmerksam. Und ich? Ich bin einfach zu nahe an so einem Spot vorbeigefahren, hatte nicht auf dem Schirm, dass diese Boote Zulieferer sind und sich demzufolge auch mal in Bewegung setzen können. Das mache ich in Zukunft anders.

Der nächste Punkt war dann eine Grundberührung. Die Details kann man weiter oben nachlesen. Was war falsch gelaufen? Ich bin nach einem anstrengenden Segeltag früh ins Bett gegangen, aber trotzdem unausgeschlafen. Die Ansteuerung des nächsten Hafens in 5 nm Entfernung war Stornoway, wo man sich per Funk anmelden muss, was mich gedanklich schon beschäftigt/ablenkt. Der Steinhaufen, der mein Schicksal wurde, war am Vortag bei Niedrigwasser gut sichtbar und leicht zu umfahren, bei Hochwasser liegt er jetzt im Verborgenen. Diverse Hindernisse wie unter Wasser gezogene Mooringtonnen in meinem Fahrweg lenken mich ab und „Bingo.“ Was ist schief gegangen? Eigentlich ganz einfach: Müde, in Gedanken schon woanders und der Weg aus dem Loch Grinshader auf das offene Wasser scheint völlig frei. Mein Fehler, egal wie ich es drehe.

Nächste Szene: Eine Nacht vor Anker in einer engen Bucht auf der Insel Skye bei Starkwind kostet mich ebenfalls Nerven. Der kräftige Wind für die Nacht ist angesagt, ein Hafen nicht in der Nähe und die Bucht scheint gut geschützt. Ist sie wohl auch. Leider ist sie auch tief, bei HW habe ich eine Wassertiefe von mehr als 10 m. Mit 30 Kette und 20 m Seil schon grenzwertig. Die Nacht ist unruhig, ich bin öfter draußen um zu prüfen, ob der Anker noch hält und froh, als der Morgen kommt und der Wind einschläft. Was ist schief gegangen? Eigentlich nichts, so ist das eben in Schottland. Stege, Mooringtonnen und Häfen sind um Skye eher selten. Ich hätte vielleicht eine ganz andere Region anlaufen sollen. Am Ende hat der Rocna gehalten und alles war gut.

Wochen später wieder ein Nearmiss, diesmal bei bestem Wetter vor Cape Wrath. Neben mir will noch ein Fischerboot mit gleichem Kurs das Kap nach Osten runden, ein Arbeitsboot kommt uns entgegen. Die Sonne strahlt vom Himmel, Sicht von Pol zu Pol, einer der schönsten Tage, die ich in Schottland erleben darf. Wenn da nicht der Entgegenkommer wäre. Ein Arbeitsboot, ca. 50 m lang, hält stur exakt auf MARIS zu, die unter Segeln ist. Durch meine früheren Erfahrungen gewarnt, greife ich früh zum Funkgerät. Einmal, zweimal, dreimal. Keine Antwort. 100 m vor mir schlägt das Boot dann einen Haken mit mindestens 30 Grad und weicht mir aus. Offenbar ist niemand auf der Brücke, der aus dem Fenster gesehen hat. Was ist schief gegangen? Auf meiner Seite nichts.

Der Rückweg ist nah. Ich liege seit Tagen in Wick und will den Sprung nach Hegoland wagen, nur das Wetter passt einfach nicht. Nach 7 Tagen endlich die Lücke, ich lege um 0500 Uhr ab. In der folgenden Nacht schlafe ich immer 30 min. gehe dann an Deck und checke Plotter und Umgebung. So gegen 0200 Uhr sehe ich bei dieser Gelegenheit viele Lichter am Horizont, die sich scheinbar nicht bewegen und die in meiner Karte zu einer Bohrinsel passen. Die Entfernung lässt sich im Dunkeln nicht sicher schätzen, Das Wetter und die alte Welle sind unruhig, das Fernglas ist daher fast nutzlos. Ich lege mich wieder hin. Plötzlich wache ich auf, weil helles Licht durch meine Fenster fällt. Ich gehe an Deck und sehe mich zwei großen Trawlern an Backbord gegenüber, kaum 100 m entfernt, die etwas versetzt fahren und gemeinsam ein großes Netz ziehen. Kein AIS, kein Funk, die haben mich aber gesehen und nahezu aufgestoppt, um mich passieren zu lassen. Die Decks sind taghell erleuchtet, Navigationslichter gehen da völlig unter. Was ist schief gelaufen? Nach mehr als 20 Std. war ich müde und habe die Lichter der Schiffe falsch interpretiert und die langsame Bewegung der Trawler nicht gesehen. Das war alles. Hätte aber in die Hose gehen können.

Zuletzt holt mich noch dass Wetter ein. Es ist die dritte Nacht auf dem Weg nach Helgoland, ich bin etwas erschöpft, aber im Grunde nicht so sehr, wie man das nach so langer Zeit erwarten sollte. Leider passt nun der Wetterbericht nicht mehr. Zum Glück habe ich noch eine Wetterfaxbox (WIB3) an Bord, über die ich schon viele dumme Sprüche gehört habe. Wer braucht heute noch Wetterfax auf Kurzwelle? Antwort: ich. Es gibt hier draußen nämlich nichts anderes. So mager die Daten auch sind, sie stimmen. Der Wind frischt immer weiter auf, leider aus Ost, die Richtung in die ich will. Aufkreuzen bring mir kaum Raum, Diesel für die restlichen 150 nm habe ich nicht mehr an Bord. Es regnet wie aus Kübeln, alles ist naß und ich weiß nicht mehr weiter. Irgendwann kommt die Dämmerung und ich stoppe auf und laufe unter kleinen Segeln nur noch ab. Meine Kleidung ist auch durch, ich ziehe mich bei heftiger Welle um, eine noch trockene Ersatzjacke habe ich an Bord. Ich esse etwas. Der Wind legt weiter zu, doch der Sender Pinneberg, also aus meiner Heimat, stellt eine langsame Drehung nach NO, N und weiter nach NW in Aussicht, Und genauso kommt es. Im letzten fahlen Abendlicht rauscht MARIS mit mehr als 7 kt in die Nacht, die Gischt hinter ihr leuchtet, irgendwann sieht man die Segel nicht mehr, so dunkel ist es. Nun legt man sein Leben in die Hände eines ungewissen Schicksals oder eines Gottes oder….? Was ist schief gelaufen? Eigentlich nichts, wenn man davon absieht, das eine Einhandtour über ca. 4 Tage wettertechnisch sehr schwer planbar ist. Ich werde das jedenfalls nicht mehr machen.

Ich hoffe, mein Bericht hilft denjenigen, die ähnliches planen, meine Fehler zu vermeiden. Für mich ist die Abfolge der o.g. Ereignisse nur ein kleiner, aber sehr prägender Teil meiner Reise. Das insgesamt schlechte und kalte Wetter tun dann ein ihriges, um diese Reise zu einem Erlebnis zu machen, dass ich immer noch aufarbeiten muss.


2 Gedanken zu “Kritische Situation, was hätte man tun können….

  1. Eine gute Reflektion, Klaus. Nachdem ich im vergangenen Jahr auch kurz in Schottland war, bewundre ich deinen Einhandtörn. Auch quer über die Nordsee möchte ich nicht solo. Dafür hast du meinen Respekt.

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